Kalenderwoche 49/2021
Kleine Fluchten
Von Carole Fives
Die junge Frau hat einen hübschen, blond gelockten Sohn. Sie liebt ihn von ganzem Herzen. Der Vater des Kindes hat sie sitzen gelassen. Kein Wunder, gerät sie immer wieder an ihre physischen und psychischen Grenzen. Alles bleibt an ihr hängen. Ihre Tätigkeit als freiberufliche Grafikern kann sie nur nachts ausüben, weil dann ihr Kind schläft. Einen Krippenplatz für ihren Sohn bekommt sie keinen. Die namenlose Protagonistin ist stets bemüht, nebst der alleinigen Verantwortung für den Kleinen, alles richtig zu machen und ja nicht negativ aufzufallen. In der Hoffnung, Gleichgesinnte zu finden, meldet sie sich bei einem Online-Forum an. Aber auch im Netz ist sie nicht sicher vor Anfeindungen.
Sie fühlt sich eingeengt und braucht Luft zum Atmen. Sie nimmt sich kleine Auszeiten. Wenn ihr Sohn endlich eingeschlafen ist, wagt sie nächtliche Spaziergänge. Zuerst ist’s nur eine Runde um den Block, dann verlängert sie die Strecke. Als Leserin habe ich bei diesen „kleinen Fluchten“ mit Maman mitgefiebert, ob der Kleine durchschläft oder wohl schon aufgewacht ist.
Elternschaft hat nicht nur Sonnenseiten. Carole Fives schildert die unschönen Seiten davon. In der heutigen Zeit wird es immer schwerer, dem Druck standzuhalten und zu überleben. In jeder Zeile erkennt man die Verzweiflung und Erschöpfung. Dies macht den Roman zu einem emotional intensiven Leseerlebnis.
Denise Meier
am 06. Dezember 2021










